Der rote Faden als Verheißung


Das ist schon eine merkwürdige Geschichte über den Helden und der Vereinigung mit seiner Anima in Gestalt Ariadnes. Ehe Theseus sich mit Ariadne vereinigen kann, muss er noch den Minotaurus töten. Er erhält dafür von ihr das erforderliche Schwert und ein rotes Knäuel. Das Schwert ist als Symbol ein recht vielseitiges Instrument. Ich stelle mir z.B. vor, dass Theseus ein ganzes Stück Rationalität brauchte, um nicht von dem furchteinflössenden Wesen mental überwältigt zu werden. Den Anfang des roten Knäuels befestigt er am Eingang und rollt es nach innen ab. Bis in die Mitte des Labyrinths, wo das Ungeheuer sitzt. Theseus hat sich also mit Ariadnes Hilfe in sein Innerstes hineingewagt, wo Gefahren lauern, denen er sich stellen muss. Er tötet den Minotaurus, der Menschen als Nahrung verlangt, mit Ariadnes Schwert.
Danach könnte er ja auch ohne roten Faden wieder aus dem Labyrinth herausfinden. Eigentlich ist es ja ganz einfach. aber Ariadne möchte sicher gehen, dass Theseus nicht dort drinnen bleibt, wo das Ungeheuer Platz für ihn gemacht hat. Dort im Dunklen, fern vom Licht, alles vergessend. Manch einer hat den Weg nach draußen nicht mehr geschafft.
Aber das kann nicht geschehen, denn der rote Faden erinnert Theseus an Ariadne und die junge Liebe, die zwischen ihnen beiden erblüht ist. Die Farbe Rot erinnert an Menstruationsblut und ist für Theseus eine erotisch sexuelle Verheißung, die ihn ebenso nach wieder zurück zieht, wie die große Liebe zu Ariadne, für die das Rot ebenso steht.Darüber hinaus soll der rote Faden ihn an die allumfassende göttliche Liebe erinnern, ohne die nichts ist , was ist. Es ist also der Faden der Liebe, an dem entlang Theseus  wieder an Licht zurückkehrt und der ihn endlich mit seiner Anima, seinem weiblichen Seelenanteil vereint. Damit er heil und ganz werde.
Soweit so gut. Es ist ein Motiv, das wir in Abwandlungen in vielen Märchen finden: Der Held darf sich nach bestandenen Prüfungen mit der Prinzessin vereinigen und wird am Ende sogar König. Theseus wird am Ende auch König, aber er hat zuerst seine Anima verloren und dann aus Nachlässigkeit seinen Vater, den König, so traurig gemacht, dass dieser sich das Leben nimmt, woraufhin Theseus den Thron besteigt und König wird. Ich vermag diesen Lauf der Dinge nicht zu deuten. Anscheinend ist er seinen Weg noch nicht zu Ende gegangen. So ist das mit dem Labyrinth als Symbol unserer Lebensreise. Sie geht nicht einfach kontinuierlich voran, sondern bringt uns immer wieder an Punkte zurück, die wir bereits hinter uns gelassen zu haben glauben.
Ein weiteres Motiv ist aber auch die Rückkehr ans Licht als ein Weg der Liebe. Auch das ist in Märchen zu finden. Vielleicht ein anderes Mal.
Wenn du mehr über das Labyrinth erfahren möchtest, empfehle ich dir das reich bebilderte Buch von Gernot Candolini „Labyrinth – Inspiration zur Lebensreise“, Herder 2015

Ursula

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